Samstag, 24 April 2021 13:05

Wie gefährlich ist das Atomkraftwerk Fessenheim nach der Abschaltung? Empfehlung

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313 Brennelemente lagern noch im abgeschalteten Akw Fessenheim, bis Mitte 2023 sollen sie abtransportiert sein. 313 Brennelemente lagern noch im abgeschalteten Akw Fessenheim, bis Mitte 2023 sollen sie abtransportiert sein. SEBASTIEN BOZON

Von Bärbel Nückles

 

Seit Juni 2020 ist das Atomkraftwerk Fessenheim stillgelegt. Die Planung des Rückbaus läuft. Wo liegen nach der Stilllegung aktuell die Schwachstellen? Welches Risiko geht für die Bevölkerung noch aus?

Vor mehr als einem Jahr wurde der Betrieb von Reaktor 1 in Fessenheim eingestellt, seit Ende Juni 2020 ist auch Reaktor 2 endgültig abgeschaltet. Die Gefahr eines schweren nuklearen Unfalls ist damit im elsässischen Atomkraftwerk ausgeschlossen. Als letzte Risikoquelle bleiben aber die ausgelagerten Brennelemente. Während die Planung und die Vorbereitungen zum Rückbau laufen, hat ihr Abtransport im vergangenen Jahr begonnen. Bis spätestens Mitte 2023, so kündigt der Betreiber Electricité de France (EDF) an, wird sämtliches Brennmaterial vollständig weggebracht sein.

Wo liegen nach der Stilllegung aktuell die Schwachstellen?


Die radioaktiven Brennelemente wurden nach der Abschaltung der Reaktoren entladen. Sie liegen jetzt unter Wasser in überbauten Abkühlbecken jeweils hinter den Reaktorgebäuden. Ein Transport ist erst nach mehrmonatiger Lagerung möglich. 2020 haben zehn solcher Transporte mit insgesamt 120 Brennelementen mit dem Ziel der Wiederaufarbeitungsanlage Orano in La Hague in Nordfrankreich das Akw verlassen. Für 2021 hat die EDF 15 Transporte vorgesehen. Jeder Reaktorkern war im Betrieb mit 157 Brennelementen befüllt. 2020 wurde Brennmaterial abtransportiert, das bereits vor der Stilllegung des Akw entnommen worden war. Die aktuell noch auf dem Gelände lagernden 313 Brennelemente bleiben ein Sicherheitsrisiko.

Wie sind die Brennelemente geschützt?


Entscheidend ist, dass die Kühlung der Brennelemente intakt bleibt. Ein Flugzeugabsturz oder ein Erdbeben könnten zu Schäden an den Lagerbecken führen und die Kühlung unterbrechen. Die Brennelemente könnten dann überhitzen – in letzter Konsequenz würde dann Radioaktivität entweichen. Wegen solcher Gefahren müssen die Systeme zur Stromversorgung und für die Kühlwasserzuleitung grundsätzlich besonders robust angelegt sein. Die Ansprüche an die Sicherheit wurden nach der Erfahrung des nuklearen Unfalls im japanischen Fukushima 2011 erhöht. Insbesondere am seismisch aktiven Oberrhein ist ein Gefährdungsszenario Erdbeben plus Überschwemmung denkbar. Das Akw liegt am Rheinseitenkanal – mehrere Meter unterhalb der Dammoberkante.

Welche Sicherheitsvorkehrungen verlangt die Atomaufsicht?


Für alle französischen Akw hat die Atomaufsicht (ASN) infolge der Fukushima-Stresstests Nachbesserungen verlangt. In Fessenheim muss die EDF nach der Abschaltung lediglich die Abklingbecken zusätzlich absichern. Bei den zusätzlich angeschafften Notstromgeneratoren handelt es sich um kleinere, beziehungsweise weniger leistungsfähige Geräte als für Anlagen, die noch in Betrieb sind. In Fessenheim soll im Ernstfall vor allem die Funktion der Leitsysteme und der Anzeigesysteme garantiert werden. Die Einspeisung von Kühlwasser sichern zusätzliche Grundwasserpumpen ab. Käme es zu einem einschneidenden Ereignis, das die Kühlung in Frage stellt, kann die EDF außerdem eine eigene Eingreiftruppe (FARN) nach Fessenheim schicken. Die EDF beschreibt ein mögliches Gefährdungsszenario auf Anfrage wie folgt: Bei einem abrupten Ausfall der Stromzufuhr und der Kühlung zum jetzigen Zeitpunkt würde es theoretisch etwa 20 Tage im Falle des Lagergebäudes 2 und 30 Tage bei Lagergebäude 1 dauern, bis das Kühlmittel verdampft wäre. Bis dahin sollte die FARN längst vor Ort sein und Maßnahmen ergriffen haben.  Schäden an den Lagerbecken durch einen Angriff von außen könnten allerdings – darauf weist die EDF hier nicht hin – zu einem sehr viel schnelleren Verlust des Kühlwassers führen.   

Was sagen Kritiker zu den Schutzmaßnahmen?


Die geforderten Nachbesserungen zur zusätzlichen Sicherung der Brennelementelager wurden Ende 2020 ausgeführt, also neun Jahre nach dem GAU in Fukushima. Immerhin hat die ASN für die Nachrüstungen eine Auslegung gegen stärkere potenzielle Beben im Vergleich zu früher verlangt. Die Lagergebäude wurden jedoch nicht zusätzlich ertüchtigt. Dabei sind die entsprechenden Forderungen nicht neu. "EDF hätte die Gebäude um die Abklingbecken von Anfang an etwa durch dickeren Beton und eine andere Dachlösung sichern müssen", meint André Hatz, Vorsitzender des Vereins Stop Fessenheim.  Die Brennelemente sollten in der Übergangsphase, so seine Forderung, wenigstens zur Kanalseite mit einer zusätzlichen Mauer vor Angriffen geschützt werden. Die Atomaufsicht hält die bauliche Struktur hingegen für ausreichend. Für die Gefahrenabwehr gegen Terror, sagt Pierre Bois, Leiter der ASN in Straßburg, sei die Staatsgewalt zuständig.  

Wie ist das Restrisiko einzuschätzen?


Klar ist: Es hätte Alternativen gegeben, die im Zweifel mehr Schutz bieten. In Deutschland etwa lagern benutzte Brennelemente in den noch betriebenen Druckwasserreaktoren innerhalb der Reaktorgebäude. Sie sind damit besser gegen Gefahren von außen abgeschirmt. Langfristig werden benutzte Brennelemente in Deutschland zudem trocken und in stabilen Spezialgussbehältern verschlossen. Dennoch sind die Risiken in Fessenheim mehrere Monate nach Abschaltung erheblich reduziert. "Würde es zum jetzigen Zeitpunkt zu einem Leck kommen", so erklärt Christian Küppers, Kernkraftexperte am Öko-Institut in Freiburg und Darmstadt, "dürfte sich die austretende Radioaktivität im Rahmen geltender Grenzwerte bewegen." Ein Katastrophenszenario mit einer Evakuierung der umliegenden Städte hält er für ausgeschlossen.

 

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