Donnerstag, 20 Juli 2023 10:33

Kommt die Atomkraft zurück nach Fessenheim? Empfehlung

geschrieben von
Artikel bewerten
(0 Stimmen)
Ganz nah dran: Der Kirchturm der Kirche St. Peter und Paul in Hartheim vor dem AKW Fessenheim Ganz nah dran: Der Kirchturm der Kirche St. Peter und Paul in Hartheim vor dem AKW Fessenheim Patrick Seeger

Von Bärbel Nückles

Fessenheims Bürgermeister bewirbt sich offensiv für einen der neuen, in Frankreich geplanten Mini-Reaktoren. Er ist sich zudem sicher, dass eine Anlage zum Rückbau von Nuklearanlagen bei ihm errichtet wird.

Für Claude Brender war das Atomkraftwerk in Fessenheim stets ein Garant für Steuereinnahmen, Arbeit und Wohlstand. Man erinnert sich: In Fessenheim lief bis zur endgültigen Stilllegung im Juni 2020 Frankreichs ältestes noch betriebenes AKW, Baujahr 1977. Die Abschaltung, wird Brender, Bürgermeister von Fessenheim, bis heute nicht müde zu betonen, geschah "vorzeitig". "Wenn Frankreich nun einen neuen Anlauf in der Atomindustrie nimmt, dann muss Fessenheim dabei sein", findet der Bürgermeister der elsässischen Gemeinde jenseits des Rheins.

Kehrt die Atomenergie, wie André Hatz von Stop Fessenheim befürchtet, durch die Hintertür zurück? In einer Diskussion im regionalen Fenster des Privatsenders BFMTV saßen sich Hatz und Brender vor wenigen Wochen gegenüber. Es war wie in Zeiten vor der Stilllegung des AKW vor drei Jahren. Brender lobte die Atomkraft als klimafreundliche Zukunftstechnologie und nannte Hatz einen Ewiggestrigen. Hatz verwies auf die hohen Kosten für die Entwicklung und den Bau neuer Reaktoren und hielt Brender vor, er habe Jahre verschlafen, in denen er sich geweigert habe, der Stilllegung ins Auge zu sehen und die Zeit danach wirtschaftlich vorzubereiten.

André Hatz berichtet, wie offensiv die Politik nun Fessenheim als neuen AKW-Standort ins Spiel bringt. Weil man in Jahrzehnten gelernt habe, sagt er, dass sich von den Steuereinnahmen gut leben lässt. "Der französischen Atomindustrie hätte jedenfalls nichts Besseres passieren können, als dass Leute wie Brender die Lobbyarbeit erledigen", sagt Hatz. Sein Verweis auf den Aachener Vertrag, in dem sich Deutschland und Frankreich auf ein nachhaltiges Projekt für die Zeit nach dem AKW-Aus für Fessenheim verpflichtet hätten, verhallt. Atomkraft gleich klimaneutral, das ist französische Doktrin.

Seit die Regierung in Paris den Bau neuer Reaktoren vom Typ Small Modular Reactor (SMR) beschlossen hat, hat der Bürgermeister keine Zeit verloren und ist persönlich im Energieministerium vorstellig geworden. Es geht um zwei der Mini-Reaktoren mit einer Leistung von zusammen 340 Megawatt – also fünfmal weniger als die abgeschalteten 900-MW-Reaktoren aus den 1970er Jahren. Vor Ort verfügt der AKW-Betreiber Electricité de France (EDF) über ausreichend Fläche. 15 Hektar sind es neben dem abgeschalteten AKW, wenn auch inzwischen von dichtem Auwald überwuchert: EDF wollte damals zwei weitere Reaktoren bauen.

Referenzanlage für Mini-Reaktoren geplant


Zu möglichen Standortplänen für die Mini-Reaktoren äußerte der Konzern gegenüber der Tageszeitung Le Monde, dass der Bau einer "Referenzanlage" 2030 angestrebt werde. Die Liste der potenziellen Standorte werde gerade erarbeitet. Ob Fessenheim darin eine entscheidende Rolle spielen könnte, wird nicht kommentiert.

Raphael Schellenberger, konservativer Abgeordneter von Les Républicains für den Haut-Rhin, sagt im Gespräch mit der Badischen Zeitung, dass er Ende Juni gemeinsam mit Claude Brender mit dem Verantwortlichen für die neue Atompolitik aus dem zuständigen Ministerium in Paris sprechen werde. Wie der Bürgermeister von Fessenheim hält auch Schellenberger die Stilllegung des elsässischen AKW für einen historischen Irrtum. "Unsere Botschaft ist jedenfalls, dass wir bereit sind, im Bereich Fessenheim neue Reaktoren zu bauen", betont Schellenberger. Die Entwicklung der Modularen Reaktoren sei allerdings noch nicht so weit vorangeschritten, dass man dazu konkreter werden könne.

Claude Brender: Fessenheim hat den Zuschlag


Präziser werden er wie Brender bei einem anderen Vorhaben der EDF, dem Technocentre, einer Einschmelzanlage für Metall aus dem Rückbau von Nuklearanlagen, das nach der Dekontaminierung anschließend etwa für industrielle Zwecke eingesetzt werden kann. Weder den elsässischen AKW-Gegnern noch auf deutscher Seite gefällt dieses Vorhaben der EDF, das im Februar 2019 erstmals von Frankreich präsentiert wurde. So hatte man sich das "Zukunftsprojekt Fessenheim" nicht vorgestellt.

Anfangs schien noch Tricastin im Rhonetal, ein anderer AKW-Standort in Frankreich, dafür im Rennen zu sein. Die EDF ließ 2020 verlauten, dass eine Entscheidung 2023 fallen werde. Claude Brender sagt, sein Stand sei, dass Fessenheim den Zuschlag habe. Noch vor der Sommerpause, werde EDF das Vorhaben im Rat der zuständigen Verbandsgemeinde Pays Rhin-Brisach präsentieren. Nach einem Antragsverfahren rechne er 2026 mit der Erteilung der Baugenehmigung, also etwa zeitgleich, wenn der eigentliche Rückbau des AKW beginnen soll.

Auch was die Sprecherin der EDF in Fessenheim auf Nachfrage zum Thema Technocentre äußert, weist in diese Richtung. "Der derzeit bevorzugte Standort befindet sich auf dem Reservegrundstück der EDF neben dem AKW Fessenheim", sagt Delphine Rorive. Zudem habe der französische Gesetzgeber inzwischen die rechtliche Grundlage für eine Weiterverwertung schwach radioaktiver AKW-Altmetalle geschaffen, ohne die der Bau eines Technocentre nicht möglich wäre.

Raphael Schellenberger geht ebenfalls davon aus, dass in Fessenheim die Recyclinganlage gebaut wird. "Im Übrigen brauchen wir eine solche Anlage in Frankreich", betont der Abgeordnete, andere Länder hätten das auch. Schellenberger, der auch Präsident der Fessenheim-Informationskommission ist, hat mit einer Abordnung dieses Gremiums jüngst das baden-württembergische AKW Philippsburg besucht, dessen Rückbau seit 2017 läuft. Schellenberger verteidigt die Pläne für ein Technocentre in Fessenheim: "In Philippsburg geschieht im Zuge des Rückbaus genau dasselbe."

Weitere Informationen

Gelesen 2374 mal